120. Tag: Zwischen Routinen und Überraschungen

Heute war die Wanderung länger, und die Temperaturen waren wärmer. Der Rucksack wurde ab Mittag schwerer. Bei Pircher Sport in Valmalenco SO habe ich mir ein neues Paar Schuhe gekauft, da meine alten in einem schlechten Zustand waren. Da ich befürchtete, dass die neuen Schuhe bis Nizza nicht durchhalten würden, habe ich sie vorsorglich in den Rucksack gepackt. Ich laufe weiter, bis die alten auseinanderfallen, oder zumindest bis der Rucksack zu schwer wird, um sie zu schonen.

Inzwischen verlaufen alle Abläufe routiniert – das Planen, Wandern und Dokumentieren. Ich bin bereits vor Monaten auf dieser Reise angekommen, und je länger ich unterwegs bin, desto kleiner erscheinen mir die anfänglichen Probleme. Unterkünfte lassen sich leicht finden, und ich kann mich problemlos auf Veränderungen einstellen – sei es der Verschleiß meiner Schuhe, das Wetter, die Knappheit von Unterkünften oder sogar Gewittervorhersagen.

Eigentlich verläuft inzwischen alles routiniert, doch die beeindruckende Landschaft lässt mich jeden Tag aufs Neue staunen, während mich die Unterkünfte immer noch oft überraschen. Auch diese Unterkunft, Refugio Bosio-Galli eine Alpenvereinshütte des Italienischen Alpenvereins, erweist sich erneut als angenehme Überraschun – idyllisch gelegen mit 5 Gang Abendessen. Die Hütte ist recht leer – neben mir sind nur zwei junge italienische Paare, ein junger Italiener und ein jung gebliebener Schweizer hier anzutreffen. Der Schweizer entspricht nicht dem typischen Klischee, denn im Gegensatz zu denjenigen, die oft mehr als 100 % arbeiten, begnügt er sich mit einer Arbeitszeit von 50 %. Er erklärt, dass es ausreicht, und fährt ein älteres Auto. In der Schweiz mag dieser Lebensstil auf Unverständnis stoßen, da er nicht nur weniger verdient, sondern auch geringere Steuern zahlt. Ich kann seine Perspektive jedoch nachvollziehen, schließlich wird er für seine Entscheidung belohnt.

Durch meine Reise plane ich voraussichtlich im Jahr 2023 nur 50 % zu arbeiten, wobei mein Einkommen etwas höher als ursprünglich gedacht ausfallen wird. Die Frage der Gerechtigkeit stellt sich dabei, doch als die Steuergesetze festgelegt wurden, konnte sich wahrscheinlich auch niemand vorstellen, dass es einmal Menschen geben würde, die freiwillig nur die Hälfte arbeiten. Es gibt sicherlich Lösungen dafür, aber dieser Blog konzentriert sich auf meine Reise und nicht darauf, wie die Schweiz noch besser werden könnte.

Ich versuche mich weiterhin in Richtung Westen zu bewegen, stets auf das Wetter, die Berge und die günstigen Unterkünfte bedacht, und das funktioniert größtenteils gut – meistens sogar ausgezeichnet über die gesamte Reise hinweg. Langsam beginne ich mich zu fragen, ob ich Glück habe oder ob das Glück mich sucht. Wahrscheinlich ist das Glück überall, man muss es nur erkennen und zugreifen.

Fotos:

Karte:

Gesamtstrecke: 24138 m
Maximale Höhe: 2239 m
Minimale Höhe: 934 m
Gesamtanstieg: 1464 m
Gesamtabstieg: -1616 m
Download file: 2023-08-10 073618.gpx

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