115. Tag: Die Flucht vor dem Winter

Obwohl das Wetter täglich besser ist als erwartet, kann ich nicht leugnen, dass die Kaltfront immer tiefere Temperaturen mit sich bringt. Heute Morgen, als ich um neun Uhr am 27476 Meter hohen Stiflersjoch loslief, waren es gerade mal drei Grad. Handschuhe und Mütze sind meine besten Freunde geworden. Umso erfreulicher ist es, dass die Wanderung mich heute auf unter 2000 Meter gebracht hat.

Die Wanderung führt mich fast eine Stunde lang entlang der Passstraße. Das vertraute Schweizer Postauto kommt mir entgegen und zaubert mir ein Lächeln ins Gesicht. Die Stelvio-Linie fährt von Müstair über das Stiflersjoch nach Tirano.

Als ich den Pass verlasse und über eine Anhöhe gehe, wo die Ruinen von Bunkern und eine Infotafel zum Gedenken an die Front des Ersten Weltkriegs stehen, wird es still. Ich durchquere eine wunderschöne, ruhige Landschaft. Die Menschen sind verschwunden, ich höre nur gelegentlich das Rauschen der Wasserläufe und meine eigenen Schritte sowie das Pfeifen der zahlreichen Murmeltiere. Erst kurz vor dem Bacino di San Giacomo sehe ich am Picknickplatz zum ersten Mal wieder Menschen. Am Seeufer werden es dann mehr, sogar ein Linienbus fährt die nicht asphaltierte Straße ohne Leitplanken entlang.

Ein weiteres atemberaubendes Highlight eröffnet sich: Ein Stausee, eingebettet in eine wunderschöne Berglandschaft. Nach den grauen Steinlandschaften in über 3000 Metern Höhe in den letzten Tagen könnte der Kontrast mit den grünen Nadelbäumen und dem türkisfarbenen See nicht größer sein. Beide Landschaften sind völlig unterschiedlich und in ihrer Schönheit nicht zu übertreffen.

Obwohl die heutige Strecke 23 km betrug, kam mir die Wanderung wie ein Spaziergang vor, dank des einfachen Geländes und meiner erlangten Fitness auf dieser Reise. Ich machte viele ungewohnt lange Pausen in der Nähe des Sees. Ich merke auch an meiner Umgebung, dass ich Südtirol verlassen habe: Kaum deutsche Touristen, fast nur Italienisch sprechende Menschen am See. Mein Zimmer in der Rifugio Val Fraele ist hell mit einem Balkon und einer einmaligen Aussicht. Es ist größer, heller und schöner als gestern. Der Preis von 70 EUR für die Halbpension ist ebenfalls großartig. Erstaunlicherweise bin ich der einzige Gast, und so geht einer der schönsten Tage meines Lebens mit einem üppigen Abendessen vorüber.

Ich bin begeistert von der Leistungsfähigkeit meines Körpers und dankbar für die Streckenführung, die ich aus Julias Reiseführer erfahren habe. Ohne sie hätte ich vielleicht nie diesen wunderschönen See entdeckt. Es ist schön, die immer kälter werdenden Höhen hinter mir gelassen zu haben. Bald werde ich mit großen Schritten die deutlich niedrigeren Höhen in der Schweiz im Puschlav erreichen. Wenn alles nach Plan verläuft, werde ich dies in drei Tagen erreichen, wo mich voraussichtlich wieder sommerliche Temperaturen erwarten.

Bisher gelaufende Kilometer :  2.067 km
Bisher überwundene Höhe:  78.783 Meter

Landschaft:

360 Grad Video

Murmmeltier:

ich bin dan mal weg

Fotos:

Karte:

Gesamtstrecke: 23482 m
Maximale Höhe: 2764 m
Minimale Höhe: 1902 m
Gesamtanstieg: 620 m
Gesamtabstieg: -1422 m
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