125. Tag: Erfolgreiches Kapitel – Von Wien nach Bellinzona

Es fühlt sich an, als hätte ich endlich mein Ziel erreicht. Nach 125 Tagen, in denen ich 2.281 Kilometer zurückgelegt und insgesamt 88.951 Höhenmeter bewältigt habe, habe ich es geschafft: Bellinzona. Der zweite Abschnitt meiner Reise ist somit erfolgreich abgeschlossen. In den letzten 85 Tagen habe ich mir Zeit genommen, um von Wien bis nach Bellinzona zu wandern, dabei 1.428 Kilometer zurückgelegt und 73.978 Höhenmeter überwunden. Keinen einzigen Schritt bereue ich.

Seit mein Wanderfreund Jürg mich besucht hat, bin ich kaum noch von meinem Weg abgewichen. Zu nah an meiner Heimat Schweiz, das kann ich auch im Jahresurlaub oder am Wochenende entdecken. Dafür habe ich gelegentlich längere Etappen zurückgelegt als üblich. Mein Fokus war klar auf das Ziel gerichtet, Bellinzona so schnell wie möglich zu erreichen. Tatsächlich gelang mir das sogar einen Tag früher als in meinem detaillierten Plan zwischen Poschiavo und Bellinzona vorgesehen.

Die vergangenen 125 Tage waren ein unvergessliches Erlebnis. Ich konnte beobachten, wie die Landschaft von Wien aus immer alpiner wurde. Zuerst ähnelte sie eher einem Mittelgebirge, dann prägte der Voralpencharakter die Szenerie, und schließlich führte mich mein Weg immer öfter durch alpines Gelände. Der Karnische Höhenweg markierte einen Wendepunkt – von da an durchquerte ich hauptsächlich Gebirgsketten und meine Route führte mich durch bergiges bis alpines Terrain. Dabei entschied ich mich bewusst gegen die geplanten Pilgerziele und erklomm stattdessen Gipfel und erkundete alpine Landschaften. So dehnte sich meine ursprünglich kalkulierte Zeit von 64-79 Tagen auf 85 Tage aus, die zurückgelegte Strecke wuchs von 1.045 km auf 1.428 Kilometer, und die Höhenmeter stiegen von knapp 50.000 auf fast 74.000.

Diese Entscheidung erwies sich als eine der besten auf meiner Reise, noch besser war jedoch die Wahl, mich von meinem ursprünglichen Ziel, Nizza noch auf dieser Reise zu erreichen, zu lösen. Dadurch konnte ich meinen eigenen Rhythmus finden, mit einem Auge für die Schönheit rechts und links des Weges. Mein Ziel war nicht bloß, durch die Alpen zu hetzen, sondern die Umgebung aufzusaugen und kennenzulernen. Diesen Ansatz verfolgte ich bis zum Stiflersjoch. Nachdem ich zu nah an der Schweiz war und die Strecke allmählich weniger alpin wurde, nahm meine Geschwindigkeit zu und die Umwege blieben aus. Die letzten Tage brachten den Voralpencharakter zurück.

Die Reise war so wunderbar, dass ich kurz darüber nachdachte, in Bellinzona aufzuhören. Aber warum aufhören, wenn noch so viel vor mir liegt? Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt und wann der Winter meine Reise beendet. Mein Ziel ist es nicht, nach Nizza zu rasen, sondern den Weg mit all seiner Schönheit zu genießen. Die Möglichkeit, eine vorgegebene Route aus meinem neuen Reiseführer zu wählen, mag zwar schneller sein, könnte aber die Gelegenheit zur Erkundung der Umgebung einschränken. Die Zeit wird zeigen, wie ich mich entscheide. Jetzt freue ich mich jedoch erst einmal auf Erholung in den kommenden Tagen in Bellinzona.

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